Der Anbieter der so genannten
Kasseler Stottertherapie und Facharzt für Allgemeinmedizin, Alexander Wolff von Gudenberg, meinte gegenüber der Presse:
In den USA kann man trotz Stotterns sogar Professor werden. In Deutschland habe ich als Betroffener nicht einmal meine Zusatzqualifikation als HNO-Arzt machen können. (...) Wer eine Redeflussstörung hat, fällt in Deutschland durch alle Raster.
Zitat hier.Das war allerdings vor drei Jahren, aus Anlass des
Welttags des Stotterns.
Aber auch damals kannte ich schon einige erfolgreiche Stotterer, die ihre Berufe in Branchen wie Architektur, IT, Forschung und Lehre in Natur- und Kulturwissenschaften (ja, auch ein Universitätsprofessor darunter), Journalismus, Maschinenbau ausüben. Dann wären da noch Prominente wie F.C. Delius zb.
Ich habe mich schon oft gefragt, was es braucht, um als Stotterer trotzdem seinen Weg zu gehen. Ist es eine Frage der Schwere der Symptomatik? Ist es eine Frage des unterstützenden sozialen Umfelds, der sozialen Herkunft?
Vor Jahren gab es im
Kieselstein, Organ der deutschen Selbsthilfe-Organisation
BVSS e.V., einige Artikel zum Thema "Stottern und Beruf". Auffallend war da, dass es bei den Männern bei der Berufswahl offenbar kein größeres Problem darstellte, zu stottern. Anders bei den porträtierten Frauen. Aber: meine persönlichen Begegnungen in der Stotterer-Selbsthilfe sprechen eine andere Sprache. Von den wenigen Frauen, die frau im Verein antrifft, ist ein hoher Anteil sehr gut ausgebildet und auch dementsprechend beschäftigt.
Das deckt sich wiederum mit Erkenntnissen aus der Migrationsforschung: Frauen aus benachteiligten Gruppen sind besser ausgebildet als die Männer aus der gleichen Gruppe. Hm - und was ist mit Befunden der Elitenforschung? Frauen auf leitenden Positionen sind ebenfalls besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen und erbringen eine höhere Arbeitsleistung.
Verschiedene Rückschlüsse sind möglich:
* Stottern wirkt wie jede andere Benachteiligung bei Frauen ehrgeizfördernd.
* Erfolgsgeschichten von weiblichen Stotternden sind für den verantwortlichen Kieselstein-Redakteur uninteressant gewesen oder wurden einfach nicht eingesandt.
* Unter organisierten Stotterern finden sich überdurchschnittlich viele beruflich erfolgreiche Frauen.
Und was ist mit dem Faktor soziale Herkunft? Die erfolgreichen Frauen, die ich in der Szene der Selbsthilfe kennenlernte, würde ich aufgrund des sozialen Umfelds, in dem sie aufgewachsen sind, in die Kategorie Bildungsbürgertum einordnen. Sie wären also eh dort gelandet, wo sie nun gelandet sind - hatten allerdings durch das Stottern mehr Hemmnisse auf ihrem Berufsweg. Der von Soziologen so genannte Habitus, die persönliche Haltung, begünstigt die Verfolgung der eigenen Ziele.
Dagegen ist ein sozialer Aufstieg, das heißt: die Verbesserung der sozialen Position der Familie (ausgehend vom ausgeübten Beruf und von den Ressourcen der Eltern), mit einer Behinderung deutlich erschwert. Ich kenne keinen. Beeindruckt war ich von der Geschichte einer stotternden Migrantin in den USA, die den Aufstieg über ihr Medizinstudium schaffte - allerdings räumt sie ein, dass sie erst, als das schon geschafft hatte, ihr Stottern zeigte und daran arbeitete. Vorher vermied sie ihr Stottern erfolgreich.
Was sich wiederum deckt mit "Erfolgsgeschichten" solcher Art wie die von Anne Will: Jeder kann es schaffen, wenn er auf dem Weg zum Ziel sein Handicap verbirgt: also in der Zeit der Unsicherheit als "normal" durchgeht. Hm - daran sehe ich allerdings nichts Emanzipatives, im Gegenteil...